Ursprünglich war das Wahlrecht als Privileg gedacht. Es stand dem Menschen nicht aufgrund seines Menschseins zu, sondern es war ihm erst gesondert zu verleihen. Die geschichtliche Entwicklung veränderte allerdings diese Auffassung vom Wahlrecht.

Heute wird vertreten, dass jedem Menschen aus moralischen Gründen ein Wahlrecht von Geburt an zusteht und dass das Wahlrecht sogar den Status eines Menschenrechts hat. Jeder hat einen moralischen Anspruch darauf, ein juridisches Recht – das Wahlrecht – zu erhalten.

Wussten Sie, dass das originäre Wahlrecht ab Geburt besser wäre als das Stellvertretermodell, aber beides besser wäre als das derzeitige Wahlsystem?

Wenn aufgrund moralisch erforderlicher demokratischer Gleichberechtigung feststeht, dass jeder Mensch, und damit auch Kinder, einen gleichen moralischen Anspruch auf ein rechtlich zuzuteilendes Wahlrecht haben und das bloße Alter keinen zwingenden Grund darstellen kann, das Wahlrecht einem Menschen vorzuenthalten, stellt sich die weitere Frage, ob dann die spezifische Ausgestaltung des Wahlrechts ab Geburt als Stellvertretermodell das Richtige ist?

Es zeigt sich, dass zwar das originäre Minderjährigenwahlrecht von Geburt an wohl die beste Verwirklichung des Gleichheitsgrundsatzes erreichen und das Stellvertretermodell an dieses Verwirklichungsniveau nicht heranreichen würde. Dieses Stellvertretermodell ist aber dennoch immer noch besser als das derzeitige Wahlrecht, bei dem die Kinder vollständig ausgeschlossen sind.

Wussten Sie, dass die Gegner des Wahlrechts ab Geburt die Beweislast dafür tragen, dass dies nicht eingeführt werden sollte?

Schließlich lässt sich aus den moral-philosophischen Überlegungen, nämlich, dass aus einem moralischen Anspruch heraus zur Herstellung der Gleichheit jedem Menschen ein Anspruch auf Zuteilung eines Wahlrechts zukommt, auch die Frage nach der Beweislast ableiten. Weil man das Wahlrecht nicht erwirbt, bzw. es zugesprochen bekommt, sondern weil man als Mensch einen Anspruch darauf hat, dass man nur aus zwingenden Gründen ein Wahlrecht abgesprochen bekommen kann, liegt die Beweislast für die Behauptung, dass ein Wahlrecht ab Geburt in Form des Stellvertretermodells nicht eingeführt werden kann oder darf, bei den Kinderwahlrechtsgegnern.

Wussten Sie, dass die Frage, nach welchen Regeln zu entscheiden ist, ob ein Wahlrecht ab Geburt möglich bzw. notwendig ist, logisch nicht geklärt werden kann?

Einfachgesetzliche Fragen des Wahlrechts sind rechtlich an den verfassungsrechtlichen Wahlrechtsgrundsätzen zu messen. Diese wiederum sind zu messen an der Frage nach der Möglichkeit von verfassungswidrigem Verfassungsrecht und dies ist wiederum zu prüfen im Zusammenhang mit der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG.

Inwieweit allerdings diese Ewigkeitsgarantie geändert werden könnte oder nicht, wäre auf einer darüber liegenden Ebene zu prüfen anhand der Fragestellung: „Wer ist eigentlich der Verfassungsgeber, der pouvoir constituant?“

Nun stellt sich die Frage, wer zum Volk dieses pouvoir constituant gehört. Sind dies alle geschäftsfähigen, gesunden volljährigen Menschen ab 18 Jahren mit deutscher Staatsangehörigkeit oder auch Menschen unter 18 Jahren, Menschen mit Behinderung und Ausländer? So zeigt sich, dass die demographische Entwicklung eigentlich dem pouvoir constituant übergeordnet ist. Spätestens hier verlässt man den sicheren Boden juristischer Regeln.

Gleichzeitig kann man aber fragen, wer überhaupt teilnehmen soll an der Entwicklung des verfassungsgebenden Volkes, wer also in eine maßgebliche demographische Entwicklung miteinbezogen werden soll. So kann man schließlich zur Frage kommen, welche Menschengruppen sich entsprechende Verfassungen selbst geben können und wer die Regeln insoweit festlegen soll.

In der Literatur wird zum Teil vertreten, dass die Entstehung solcher Rechtsgemeinschaften einfach spontan erfolgt. Doch dies scheint keine rechte Begründung dafür zu liefern, wie dann zu entscheiden ist, wer an der Verfassungsgebung dieser Gemeinschaft, die sich zu einer verfassten Rechtsgemeinschaft weiter entwickelt, mitwirken darf und wer nicht.

Wer legt fest, ob Kinder hier mitwirken dürfen und dabei ggf. von ihren Eltern vertreten werden oder nicht? Wäre es dann auch möglich, dass in einer Bevölkerung diejenigen, die Eltern sind, waren oder werden wollen, sich von denjenigen dieser Bevölkerung spontan abspalten, die keine Kinder haben, hatten oder wollen? Diese Fragen, welche Regeln durch welche Regeln geregelt werden, enden nie, sondern führen in einen unendlichen Stufenbau.

Nach dem hier vertretenen Ansatz kann eine Lösung dieser Problematik, die auch Ansprüchen einer modernen Wissenschaftstheorie genügen muss, nur darin liegen, dass ab einer gewissen „Metaebene“ die Regeln zur Erzeugung von Regeln selbstanwendbar werden. Nur wenn strukturwissenschaftlich, also nur formal und konstruktiv, ein virtuoser Zirkel entsteht, kann eine dogmatische, inhaltliche letzte Bewertung oder gar politische Letztbegründung der Setzung von Regeln zur Erzeugung von Regeln vermieden werden.

Bei der Frage nach der Notwendigkeit der politischen Beteiligung von Kindern an der Verfassungsgebung und der daraus resultierenden Beteiligung im Rahmen des Wahlrechts handelt es sich also um selbstreferentielle Fragen. Etwas verkürzt ausgedrückt, soll das Volk entscheiden, wer das Volk ist. Um dann zu entscheiden, wer bei der Verfassungsgebung mitwirken darf. Was wiederum maßgeblich ist für die Frage, wer an der Bildung der politischen Repräsentationsorgane, also an der Bundestagswahl, zu beteiligen ist.

Die nur faktische Möglichkeit, dass einfach die Stärksten sich durchsetzen und entscheiden, wer zu beteiligen ist und wer nicht, ist abzulehnen. Vielmehr zeigt sich, dass nur die philosophische Möglichkeit bleibt, festzulegen, dass im Zweifel alle von der Verfassung Betroffenen an der eigenen Verfassungsgebung mitwirken sollten. Andere Lösungsmöglichkeiten beruhen im Ergebnis stets auf dogmatischen Prämissen und sind daher abzulehnen.

Der Zusammenhang zwischen Verfassungsgebung, Wahlrecht und demographischer Entwicklung ist sogar noch etwas verwickelter. Das Volk erzeugt über seine Repräsentanten das Recht, welches wiederum auf die Zusammensetzung der Bevölkerung Einfluss nimmt. Die Rechtsordnung erzeugt in Deutschland eine signifikante Spaltung der Gesellschaft in Kinderhabende und Kinderlose, was wiederum zur noch größeren Benachteiligung Kinderhabender führt, da immer weniger Eltern und deren Kinder immer größere Lasten, z.B. der umlagefinanzierten Sozialversicherungssysteme, finanzieren müssen.

Im Ergebnis ist damit festzuhalten, dass nur die Regel der Beteiligung aller bei der Festlegung von Regeln für alle eine unvoreingenommene und nicht von subjektiven Befindlichkeiten getragene gerechte, weil formale, Regel darstellt. Ob die danach zu beteiligenden Kinder nun von deren Eltern vertreten werden sollen oder von allen gemeinsam, ist wiederum aus formalen Gründen dahingehend zu entscheiden, dass die Eltern als Vertreter besser geeignet sind, als die Gesamtheit, jedenfalls dann, wenn eine signifikante Spaltung der Gesamtheit in Kinderhabende und Kinderlose vorliegt.

Dieses Ergebnis wird auch durch die formale Untersuchung der Wahlrechtsgrundsätze gestützt, die ergeben hat, dass zwar das originäre Kinderwahlrecht die Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichheit am besten verwirklichen würde, aber das Stellvertretermodell diese Grundsätze jedenfalls immerhin noch besser verwirklichen könnte, als das Modell, nach dem nur Volljährige wahlberechtigt sind. Wobei demokratietheoretisch diese Wahlberechtigten dann auch die Interessen der Kinder mitrepräsentieren sollten, was unserer derzeitigen Rechtslage entspricht.

Wissen Sie, wo Sie Überlegungen zum Wahlrecht ab Geburt mit zahlreichen weiterführenden Hinweisen und wissenschaftlichen Belegen auch noch genauer nachlesen können?

Axel Adrian: „Grundsatzfragen zu Staat und Gesellschaft am Beispiel des Kinder-/Stellvertreterwahlrechts. Eine rechtliche Untersuchung mit Bezügen zu Demographie,Demoskopie, Psychologie und Philosophie.“

Duncker & Humblot, Berlin. Schriften zum Öffentlichen Recht, Band 1313, zahlr. Tab. und farbige Abb., 560 Seiten, 2016

Print: <978-3-428-14838-7> € 99,90
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Dr. Axel Adrian ist Jurist in Nürnberg.